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Gestempelt... Ich gehe stempeln. Sagte sie. Freute sich, strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Glänzend die kugelrunden Augen. Ein offenes, helles Gesicht. Nicht lange her, da war es schlimm, wenn man das sagen musste. Wer so sprach, war arbeitslos. Das war vor ihrer Zeit. Sie weiß nichts davon. Ob es wirklich schlechte Zeiten waren, auch das weiß sie nicht. Das Wort, es steht immer noch im Duden. Es wird sich verlieren. Ein neues Wort wird Fuß fassen. Nach Schulabschluss muss man ins Leben. Leben heißt Geld verdienen. Gilt auch für Frauen. Inzwischen. Fand sie in Ordnung. War nicht immer so, hatte sie mitbekommen. Längst vorbei jedoch die Zeiten, als die Blitzgescheiten unter ihren Geschlechtsgenossinnen, meist verbeamtet, großen Wert darauf legten, zwischen Erwerbsarbeit und Arbeit zu unterscheiden, weil auch Hausfrauenarbeit eben Arbeit sei, nur eben nicht entlohnte. Geld musste her. Bewerbungen waren verschickt. Absagen zu erwarten. Also erst mal einen Job. Egal was. Für den Übergang. Und diese Angst, diese würgende, lähmende Angst, keine feste Anstellung zu finden. Freude sollte der Beruf auch noch bringen. Und freie Zeit lassen. Stundenweise vor einem Pavillon außerhalb des Geländes der Gartenschau stehen. Jackett wird gestellt. Es ist etwas zu groß. Aber sie muss die Ärmel nicht umschlagen. Besuchern, die eine Eintrittskarte für die Schau vorweisen können, einen Stempel, rot, Blumensymbol, auf die Hand drücken. Orchideen aus dem Regenwald links, mexikanische Kakteen rechts. Regenwälder werden abgeholzt. Wusste sie. Das empörte sie. In ihrer langen Entwicklungsgeschichte sind die viele Orchideen vom dunklen Waldboden bis in die lichtdurchfluteten Kronen der Baumriesen des Urwalds vorgedrungen und haben sich an diesen Lebensraum angepasst. Kakteen nehmen es mit den härtesten Bedingungen auf. Sie siedeln in sonnendurchglühten Steppen und Savannen und dringen bis an die Eisgrenze in den Bergen vor. Manche blühen nur nachts. Vor wenigen Jahren noch wurden Kakteenplantagen in Mexiko von einer Mottenart bedroht, die aus Australien eingeschleppt worden war. Sie lernte dazu. Am Rande. Leute kamen. Viele Leute. Auch andere Leute. Ein Behinderter, der hatte keine Hände. Sie musste seinen Stumpf fassen und ihm den Stempel auf den Unterarm drücken, kurz über das verbliebene Handgelenk. Das Handgelenk sah aus wie ein Knochen, dessen kugeliges Ende mit Fleisch überpolstert war. Einer kam, der war als Kind im KZ gewesen. Ein ganz normaler alter Mann mit Hut und leichtem Sommermantel. Er war freundlich und bestimmt. Konzentrationslager. Hatten sie in der Schule durchgenommen. Der ließ sich nicht stempeln. Das, sagte er mit Nachdruck, wollte er nicht mehr, nie mehr erleben. Einer war da, der lachte. Lachte breit. Ein Neger. Farbiger. Ein ganz schwarzer Neger. Ruander, beantwortete er ihren Blick. Aus Ruanda, fügte er hinzu. Sieht man nicht, grinste er, die rote Farbe auf meiner Haut. Hielt ihr die Innenfläche seiner Hand hin. Die war hell. Alle wurden gestempelt. Vier Abgestempelte. Manchmal sieht man es nicht.
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